Proteine, Proteine, Proteine.
Das ist der Weg, der einzige Weg zum gesunden Ich. Jeder Influenzer sagt das, jeder staatlich bezahlte Wissenschaftler sagt das. Man streitet sich nur noch, ob sich der Gesundwerdenwollende am Sojafeld oder am soja-gemästeten Nutzvieh gesund essen soll.
Egal ob Shake, Riegel oder Bowl, Hauptsache Eiweiß. Möglichst viel davon, möglichst konzentriert, möglichst direkt in die Muskulatur.
Und das Ergebnis kann sich sehen lassen.
Die Studios sind voller Enthusiasten, die exakt nach Vorgabe jeden einzelnen Muskel so trainieren, dass er möglichst schnell wächst. Die Kleidung ist knapp, so eng, dass man das Gewicht und die Konsistenz jeden einzelnen Muskels gut einschätzen kann. Und die Leute tun alles dafür, dass man jeden einzelnen Muskel sieht, im Gym, auf der Arbeit, beim Dating.
Damit alles gut wächst in der gewünschten Weise und vor allem schnell, schaufeln sich die Leute 4000 Kcal in den Magen und weil dies mit richtigen Lebensmitteln unverdaubar ist, essen sie Futtereimer um Futtereimer von Molkepulver, Riegel um Riegel von Kraftfutter. Die sozialen Medien und die Gespräche in den Fitnessstudios sind gefüllt mit Ratschlägen, wie man dieses Zeug ohne zu kotzen runterkriegt und wieder aus dem Körper rauskriegt.
Und weil das alles sehr ermüdend für den Körper ist, hilft man nach mit Taurin, Koffein und Ketamin, mit Vitaminen und Mineralien aus dem Labor.
Hauptsache der Körper funktioniert und die Muskeln wachsen wie vorgegeben.
Molke fällt bei der Käseherstellung an, wenn Milch durch Lab oder Säure gerinnt und sich in feste und flüssige Bestandteile trennt.
Die feste Masse wird zu Käse verarbeitet, die übrige klare Flüssigkeit – leicht grünlich, reich an Milchzucker, Mineralstoffen, wasserlöslichen Vitaminen und etwas Eiweiß nennt man Molke. Ihr Hauptbestandteil ist Wasser.
Daneben gab es noch eine andere Art von Restflüssigkeit.
Vor den Kuhställen wurde früher überschüssige Milch oder verdünnte Melkreste in großen Zinkwannen gesammelt, oft vermischt mit dem Spülwasser der Eimer.
Diese dünne, säuerlich riechende Mischung war fettarm und begann bei Wärme schnell zu gären.
Ob sie an Tiere verfüttert oder aufs Feld gekippt wurde, hing vom Zustand ab:
Frisch genug fürs Schwein, sonst für den Graben.
Das klingt für mich irgendwie unappetitlich. Vielleicht ist es ja mit pflanzlichen Kraftfutter für den gesundseinwollenden Kraftfutteresser besser?
Pflanzliche Proteine für den Muskelaufbau stammen meist aus Soja, Erbsen, Reis, Hanf oder Kürbiskernen.
Der Ausgangsstoff ist ein Samen oder eine Bohne, industriell angebaut, maschinell geerntet, entölt und zu Mehl vermahlen.
Aus diesem Mehl werden durch verschiedene Verfahren die Eiweiße isoliert.
Dazu nutzt man meist Wasser, Enzyme oder Chemikalien, um Stärke, Fasern und andere Bestandteile zu entfernen.
Was übrig bleibt, ist ein Eiweißkonzentrat in Pulverform, hellgrau bis grünlich, mit leicht bitterem Geschmack.
Damit das Pulver nicht klumpt und sich gut aufschäumt, kommen Emulgatoren, Lecithine oder Trennmittel dazu.
Dazu Aroma, meist Vanille oder Schoko, und Süßstoffe, weil das Eiweiß selbst kaum genießbar ist.
Es ist dieselbe Logik, mit der man Nutztiere mästet.
Auch dort zählt nur, wie schnell und effizient sich Masse aufbauen lässt.
Eiweißkonzentrat, Kraftfutter, Zusatzstoffe, alles mit dem Ziel, den Körper möglichst präzise in Form zu bringen.
Aber es geht noch besser. Der "Halter/Mäster" muss noch nicht mal für dieses Kraftfutter aufkommen, dass bezahlen die sich Mästenden selber. Nur ein bisschen Marketing und dann ist das ein Selbstläufer.
Und sie kaufen nicht nur den Eimer mit Molke, sondern gleich auch die Kapseln, Pulver, Tropfen, weil der, der das eine verkauft, ihnen auch das andere verkauft.
Und weil es immer ein „noch besser“ gibt, solange das Spiegelbild noch atmet.
Wenn das beim Angusrind auch so wäre, bräuchte man nicht mal ihr Fleisch verkaufen. Wenn diese ihr Kraftfutter zeitlebens selbst bezahlen müssten, bringt das sogar mehr Gewinn.
Ich mag Muskeln.
Nicht diese funktionalen Tiefenmuskeln, die man angeblich nicht sieht, aber spürt, wenn man barfuß über einen Steinstrand balanciert.
Ich mag sichtbare Muskeln. Schöne, klare Definition, die schon beim Zuschauen das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt.
Weil ich dann eine Vorstellung habe, wie gut das schmeckt.
Ein gut trainierter Muskel ist kurzphasig, saftig und zart. Kein Fettauge, kein verklebtes Bindegewebe, einfach ehrliches Fleisch.
Ich mag solche Muskeln wirklich, aber nur beim Schlachtvieh; Menschen essen, auch wenn sie "so gut im Futter stehen", ist ja zurzeit eh nicht erlaubt.
Warum eigentlcihe diese Fokussierung auf industrielles Kraftfutter statt auf nätürliches Eiweis?
Its economy, stupid!
Die Marge ist höher und der Abfall-Rohstoff ist sowieso vorhanden.
Produkt | Herstellungskosten (€/kg Protein) | Verkaufspreis (€/kg Protein) | Marge (€/kg Protein) |
---|---|---|---|
Molkenprotein | 5 – 10 | 30 – 60 | 20 – 50 |
Pflanzliches Protein | 8 – 15 | 40 – 70 | 25 – 55 |
Hähnchenbrust | 2 – 3 | 6 – 10 pro kg Fleisch → ca. 27 – 45 (bei 220 g Protein/kg) | 24 – 42 |
Schweinefleisch | 2 – 4 | 5 – 8 pro kg Fleisch → ca. 25 – 40 (bei 200 g Protein/kg) | 23 – 36 |
Rindfleisch | 4 – 6 | 10 – 20 pro kg Fleisch → ca. 40 – 80 (bei 250 g Protein/kg) | 36 – 74 |
So habe ich die Verkaufspreise auf Protein umgerechnet:
Hähnchenbrust:
Verkaufspreis pro kg Fleisch: 6–10 €
Proteingehalt pro kg Fleisch: ca. 220 g = 0,22 kg
Verkaufspreis pro kg Protein = 6 € ÷ 0,22 = 27,27 € bis 10 € ÷ 0,22 = 45,45 €
Schweinefleisch:
Verkaufspreis pro kg Fleisch: 5–8 €
Proteingehalt pro kg Fleisch: ca. 200 g = 0,20 kg
Verkaufspreis pro kg Protein = 5 € ÷ 0,20 = 25 € bis 8 € ÷ 0,20 = 40 €
Rindfleisch:
Verkaufspreis pro kg Fleisch: 10–20 €
Proteingehalt pro kg Fleisch: ca. 250 g = 0,25 kg
Verkaufspreis pro kg Protein = 10 € ÷ 0,25 = 40 € bis 20 € ÷ 0,25 = 80 €
Als ich anfing abzunehmen, wog ich 100 Kilo. Ich bin 1,73 m groß und kurz vor 60. Das bedeutet, ich hatte etwa 40 Kilogramm reines Körperfett, das ich mit mir herumgetragen habe.
Jetzt habe ich zwei grundsätzliche Optionen auf dem Weg zur Topform:
Ich kann trainieren wie Schwarzenegger, mein Gewicht bei 100 kg halten, den Fettanteil auf 10 kg senken und stattdessen 30 kg zusätzliche Muskelmasse aufbauen. Das wäre eine Möglichkeit, topfit zu sein, mit viel Kraft, bei gleichem Gewicht.
Oder ich reduziere mein Körpergewicht auf 65 kg, angepasst an meine Größe, mein Alter und mein Ziel, mich effizient und frei zu bewegen. Auch in dieser Variante wäre ich in Topform: gleiche Kraft bezogen auf das eigene Körpergewicht, gleiche Beweglichkeit, aber mit deutlich weniger Masse. Der Körperfettanteil läge dann bei etwa 6 bis 8 kg.
Sehen wir mal auf die Kosten:
Ich habe den monatlichen Kostenaufwand für meinen Mindestproteinbedarf bei zwei Körpergewichtsszenarien berechnet: 65 Kilogramm und 100 Kilogramm, jeweils in Topform. Für beide Gewichtsklassen habe ich den täglichen Proteinbedarf in Gramm ermittelt und auf den Monat hochgerechnet.
Die Kosten habe ich für drei Proteinquellen berechnet: tierisches Proteinpulver (Molke), pflanzliches Proteinpulver sowie natürliches Protein aus Hähnchenbrust.
In der Tabelle habe ich außerdem die Differenzkosten (Mehrbedarf) zwischen 100 Kilogramm und 65 Kilogramm aufgeführt, um den zusätzlichen finanziellen Aufwand für den höheren Proteinbedarf bei 100 Kilogramm Körpergewicht zu zeigen.
Variante | Proteinbedarf (g/Tag) | Tierisches Proteinpulver (€ / Monat) | Pflanzliches Proteinpulver (€ / Monat) | Hähnchenbrust (€ / Monat) |
---|---|---|---|---|
Topform 65 kg | 104 | 70,20 | 85,80 | 113,70 |
Topform 100 kg | 160 | 108,00 | 132,00 | 174,60 |
Mehrbedarf 100 kg | +56 | +37,80 | +46,20 | +60,90 |
Ich müsste also pro Tag rund 250 g Hühnerbrust zusätzlich essen, um den höheren Proteinbedarf bei 100 kg gegenüber 65 kg zu decken.
Bei 65 Kilo brauche ich rund 2150 Kalorien am Tag, um meine Topform zu halten. Bei 100 Kilo sind es etwa 2680 Kalorien täglich. So viel Energie braucht mein Körper, um stabil zu bleiben.
Damit ist eigentlich schon geklärt, warum die Verkäufer von Fleisch und Kraftfutter interessiert sind, dass ich aussehe wie ein Klon von Schwarzenegger.
Aber was habe ich davon?
Ich bin bald 60, und ich war mein Leben lang fett. Zwar nicht unsportlich oder schwach, aber fett. Das heißt, meine Gelenke und mein ganzer Bewegungsapparat mussten 45 Jahre lang mehr tragen, als sie eigentlich sollten. Beim Springen, beim Arbeiten, beim Heben von zusätzlichem Gewicht, sie mussten mehr aushalten, als sie aushalten müssten, wenn ich effizient gebaut wäre.
35 Kilo Mehrgewicht bedeuten für meine Gelenke vor allem mehr Druck, mehr Verschleiß und höhere Verletzungsgefahr, besonders bei Hüfte, Knie und Sprunggelenk. Beim Laufen spüre ich jeden Schritt doppelt so stark. Andere Gelenke, wie Schultern oder Ellbogen, spüren das kaum, leiden aber mit, wenn die Haltung stimmt. Aber diese stimmt ja, ich rede von Topform, einmal mit 100 Kilo und einmal mit 65 Kilo.
Dabei ist es relativ egal, ob das Mehrgewicht durch Muskeln oder reines Fettgewebe entsteht oder verursacht wird. Für die Gelenke, Hüfte, Knie, Sprunggelenke, macht das keinen Unterschied. Sicher sind die Sehnen besser trainiert, sicher sind die Knochen dichter. Aber das interessiert die Gelenke eher wenig.
Topform ist das Ideal, der Weg dahin das eigentliche Ziel.
Ich werde diese Topform nie erreichen. Dafür habe ich weder Zeit, noch Lust oder den Willen. Aber warum sollte ich überhaupt versuchen, mit 100 Kilo diese Topform zu erreichen, die meine Gelenke genauso belastet wie all die Jahre zuvor? Macht das wirklich Sinn, wenn mein Ziel ist, möglichst lange so mobil und lebendig zu bleiben, wie ich es jetzt bin?
Oder ist es nicht klüger, auf Effizienz zu setzen, in meinem Fall heißt das 65 Kilo, um meinen Bewegungsapparat zu entlasten und leichter durchs Leben zu gehen? Auch wenn ich damit der Industrie Einnahmen und Profit wegnehme? Denn ich brauche kein Fitnessstudio, keine teuren Pulver und keinen übermäßigen Lebensmittelkonsum.
Natürlich hat das auch Nachteile
Wenn man nicht mit der Masse geht, geht man alleine. Das muss nicht besser oder schlechter sein, man sollte dies aber im Kopf behalten.
Für mich sind Fitnessstudios eine ständige Verkaufsveranstaltung von schön verpackten Abfallprodukten,
für die man Eintritt bezahlt und dabei seine gesunde Langlebigkeit beschädigt.
Was denkt ihr darüber?
Danke fürs Lesen